Karg, unwirtlich, fast schon lebensfeindlich – so präsentiert sich der Burren, ein Karstgebiet im Westen Irlands. Die Gegend ist damit ganz anders als der Rest der grünen Insel. Doch gerade das Bizarre und Spröde machen den Reiz dieser Landschaft aus.
Nicht genug Wasser, um einen Mann zu ertränken. Kein Baum, um ihn aufzuhängen. Nicht mal genug Erde, um die Leiche zu verscharren – diese Beobachtungen hielt General Edmund Ludlow fest, als er 1651 mit Oliver Cromwells Armee bei der Rückeroberung Irlands durch einen für die Insel einzigartigen Landstrich im Westen zog. Beobachtungen, die viel und doch zu wenig aussagen über diesen faszinierenden, in den Grafschaften Clare und Galway gelegenen Ort. Beobachtungen, die nicht gerade einladend klingen. Tatsächlich wirkt die Karstlandschaft, die die Iren „the Burren“, sprich steiniger Ort nennen, kahl, unwirtlich, lebensfeindlich. Allerdings nur auf den ersten Blick.
Zerklüftete, von Wind und Wetter ausgewaschene Steine überziehen die Hügel und Hochplateaus, soweit der Blick reicht. Selbst im Frühling sieht das Gras zwischen den Felsen verdorrt aus. Grüne Insel? Von wegen! Manche fühlen sich an eine Mondlandschaft erinnert. Andere sehen im Burren, der sich über eine Fläche von 250 Quadratkilometer erstreckt, Ähnlichkeiten mit den Karstlandschaften in Kroatien, in denen in den 60ern die „Winnetou“-Filme gedreht wurden. Wer genauer hinsieht, entdeckt überall Leben in der vermeintlichen Einöde. Zwischen den Felsen gedeihen wilde Orchideen, Thymian und Knabenkraut. Wie sturzbetrunken taumeln unzählige Schmetterlinge zwischen den Blüten von Storchschnabel, Steinbrech und Johanniskraut. Und an einigen Stellen schiebt sich Frühlingsenzian oder eine Silberwurz durch die Felsspalten.
Tony Kirby kennt all diese Pflanzen. Der Wanderführer und Buchautor ist in der Gegend geboren und aufgewachsen. Er gilt als profundester Kenner des Burren Nationalparks. „Auf nur einem Quadratmeter findet man hier bis zu 28 verschiedene Arten“, sagt Kirby. Und er stellt noch eine faszinierende Eigenart des Landstrichs heraus: „Im Burren gedeihen arktische Pflanzen wie die Silberwurz Seite an Seite mit Arten desMittelmeerraums. Aber auch alpine Spezies und Pflanzen, die gern Insekten verspeisen, fühlen sich hier wohl. Das ist einzigartig in Europa.“
Nicht nur die Flora, auch die Fauna ist in der bizarren Welt des Burren vielfältig: Mehr als 100 Brutvogelarten und verschiedene Fledermausarten haben sich hier angesiedelt. Wanderer können mit etwas Glück Füchse, Dachse, Wildziegen und Hasen beobachten. Seltener entdeckt man auch Blindschleichen und Steinmarder.
Die beste Zeit für Wanderungen ist von Mitte Mai bis Mitte Juni, wenn die meisten Blumenarten blühen. „Dann kommen Naturliebhaber aus der ganzen Welt hierher, um dieses Wunder zu sehen“, sagt Tony Kirby und führt die staunenden Besucher zu einer weiteren geologischen Besonderheit des Burren: an die sogenannten verschwindenden Seen, die hier Turloughs genannt werden und unter dem Schutz der EU stehen. Wasser führen diese temporären Karstseen nur nach Starkregenfällen oder im Winter, wenn der Grundwasserspiegel steigt. Unter dem Burren liegt außerdem ein riesiges Höhlensystem, das bis heute noch nicht vollständig erforscht ist. „Der Burren war vor 360 Millionen Jahren der Grund eines warmen, flachen Ozeans“, erklärt Kirby. „Davon zeugen bis heute die zusammengepressten Überreste von Meereslebewesen – Korallen, Schalentiere und Plankton.“
Tektonische Kräfte aus dem Erdinneren haben den Meeresboden dann vor etwa 270 Millionen Jahren nach oben gepresst, teilweise bis zu 300 Meter über den Meeresspiegel. Wer die Gipfel dieser Erhöhungen erklimmt, den erwartet ein grandioser Rundumblick auf die schier endlose Steinwüste – bizarr und faszinierend. Unter dem Jahrtausende währenden Einfluss von Wind und Wasser sind viele der Felsen glatt poliert worden. Und immer wieder liegen Findlinge in der Landschaft, die die Gletscher der Eiszeit so rund geschliffen haben, dass es aussieht, als hätten Riesen hier Murmeln gespielt.
Mit einem Schmunzeln auf den Lippen berichtet Kirby beim Abstieg, dass sich seit kurzem eine bislang unbekannte Spezies im Burren tummelt: Fans des englischen Schriftstellers J. R. R. Tolkien (1892–1973). Ausgelöst habe die Invasion der wissenschaftliche Diskurs eines Professors für Englische Literatur an der Universität Ulster. „Liam Campbell legte im Sommer 2014 Forschungsergebnisse vor, die seiner Ansicht nach beweisen, dass Tolkien vom Burren zu seinen Meisterwerken ‚Der Hobbit` und ‚Der Herr der Ringe‘ inspiriert wurde“, so Kirby. Campbell verweist unter anderem darauf, dass es in der Gegend eine Höhle gibt, die den irischen Namen „Poll na gColm“, trägt, was übersetzt „Höhle des Gollum“ heißt. Und Gollum ist schließlich eine der Schlüsselfiguren in Tolkiens Fantasy-Geschichte.
Für viele Einheimische sei diese Erkenntnis nicht überraschend gewesen. Tolkien habe den Burren geliebt und sei dort in den 50er Jahren, während seiner Zeit als Gastprofessor an der Universität von Galway, oft beim Wandern gesichtet worden. Und tatsächlich: Mit etwas Fantasie kann man sich vorstellen, wie Gandalf, der weiße Zauberer, auf seinem Pferd die baumlosen Hügel hinunterreitet oder wie die Gefährten, angeführt vom Waldläufer Aragon, im Schutz der Findlinge ihr Lager aufschlagen. Willkommen in Mittelerde!
Doch nicht nur Tolkien-Fans und Botaniker finden im Burren ihr Eldorado. Wer archäologisch und historisch interessiert ist, kann in dem Gebiet, das sich im Norden der Grafschaft Clare und über den Südosten der Grafschaft Galway erstreckt, etwa 500 Monumente und Sehenswürdigkeiten entdecken – darunter Grabkammern aus der Stein und der Bronzezeit, keltische Ringwallanlagen, sogenannte Duns, sowie die Ruinen von Klöstern (etwa Corcomroe Abbey) und Burgen (etwa Leamanagh Castle), deren Gründung oft bis ins frühe Mittelalter zurückreicht. Weltbekannt ist der Poulnabrone Dolmen, ein Megalithgrab, dessen Alter auf mehr als 4000 Jahre geschätzt wird. „Es zeigt, mit welchem Aufwand die prähistorischen Bewohner des Burren ihre Anführer begruben – und auch, über welche astronomischen Fähigkeiten sie bereits verfügten“, erklärt Tony Kirby. „Zur Wintersonnenwende scheint die Sonne nämlich direkt in das Hünengrab hinein.“
Praktische Informationen
Anreise
Von fast allen deutschen Flughäfen gibt es Direktflüge nach Dublin, z.B. mit Aer Lingus (www.aerlingus.com) oder Lufthansa (www.lufthansa.de). Fährverbindungen gibt es von Cherbourg nach Rosslare und Dublin (www.irishferries.com). Ein gut ausgebautes Busnetz bringt Besucher von Dublin aus in den Westen der Insel (buseireann.ie). Eine bequeme Option ist der Mietwagen u.a. direkt ab dem Flughafen von Dublin. Angebot z.B. unter www.billigermietwagen.com
Unterkunft
Ausgesprochen charmant ist ein Aufenthalt in „The Mustard Seed at Echo Lodge“. Das 1884 erbaute Landhaus liegt 10 Minuten außerhalb von Adare. Alle zehn Zimmer wurden vom Eigentümer individuell eingerichtet, der außerdem exzellent kocht, DZ ab 180 Euro, www.mustardseed.ie
Bunratty Castle Hotel liegt zwischen Shannon und Limerick, eine gute Ausgangsbasis für Ausflüge, DZ ab 100 Euro, www.bunrattycastlehotel.com
Essen und Trinken
Im Cornerstore Restaurant in Limerick werden angeblich die besten Cocktails in ganz Irland gemixt. Sicher ist: die Steak und Fischgerichte sind schmackhaft, wwww.cornstorerestaurantslimerick.ie
Das „Burren Smokehouse“ in Lisdoonvarna hat seinen guten Ruf zu Recht – der geräucherte Lachs, den man im zugehörigen Pub essen oder in Folie verschweißt mitnehmen und als Picknick verzehren kann, ist ausgezeichnet, www.burrensmokehouse.ie
Einen Hauch von Downton Abbey gibt es im „Adare Manor Hotel“. In dem imposanten Herrenhaus kann man stilecht einen Afternoon Tea im Salon einnehmen. Nicht günstig, aber erlebenswert, www.adaremanor.com
The Burren
Der Burren Nationalpark kann ganzjährig kostenlos besucht werden. Ein Info-Büro befindet sich im Erdgeschoss des Clare Heritage Centre in der Church Street in Corofin (Es ist allerdings nur in der Sommersaison geöffnet). Im Burren Display Centre in Kilfenora werden die geologischen Besonderheiten des Gebietes besonders anschaulich erläutert, www.theburrencentre.ie
Wanderführer Tony Kirby ist unter folgender Webseite zu erreichen: http://heartofburrenwalks.com/yourguide
Sehenswürdigkeiten und Ereignisse
Der Westen Irlands war einst das Tor zur großen weiten Welt: Von hier aus überquerten in den 30er und 40erJahren Foynes Flugboote den Atlantik. Das „Foynes Flying Boat Museum“ ist ein Muss für Freunde der Luftfahrt, www.flyingboatmuseum.com.
Im Jahr 2010 gründete der Gastwirt Peter Curtin in der Ortschaft Lisdoonvarna die Burren Tolkien Society, die jedes Jahr ein Festival für die Anhänger von Hobbits, Elben und Orks veranstaltet, https://www.facebook.com/BurrenTolkien
Literatur
Tony Kirby: „The Burren & the Aran Islands, A Walking Guide“, als Kindle-Edition, 6,09 Euro, als Taschenbuch 9,79 Euro.