Kanada ist eins der beliebtesten Fernziele für Wohnmobilisten. Wer jedoch nur zwei Wochen Urlaub hat, kann bestenfalls einen Teil des riesigen Landes entdecken. Für einen Aufenthalt von zehn bis 14 Tagen passt eine Rundreise in der Region von Vancouver Island perfekt.
Viele Stunden haben die Kanuten auf diesen Moment gewartet. Als die Flut ihren Höhepunkt fast erreicht hat, ist es endlich soweit: Leuchtend türkis, wie das Eis in einer Gletscherspalte, erhebt sich Skookumchuck aus dem brodelnden Wasser, wie Phönix aus der Asche. Skookumchuck, kurz Skook, zählt zu den größten Salzwasser-Stromschnellen der Welt. Hier, an einer Engstelle zwischen zwei Meeresarmen, dem Sechelt Inlet und dem Jervis Inlet, an der Westküste Kanadas, wirft der Gezeitenwechsel sogenannte stehende Wellen auf, auf denen es sich trefflich surfen lässt – mit Kajaks ebenso wie mit Surf-Brettern.
Übersetzt ins Deutsche bedeutet Skookumchuck „Wildes Wasser“. Was für eine Untertreibung! 750 Millionen Kubikmeter Wasser werden zweimal am Tag durch die Engstelle gepresst. Die Strömung erreicht dabei Geschwindigkeiten von bis zu 32 Kilometer in der Stunde und lockt Adrenalin-Junkies aus der ganzen Welt an. „Doch nur die Besten schaffen es, auf Skook zu reiten“, sagt Dwayne Henderson. Der bärtige Kanadier betreibt mit seiner Partnerin Cheyenne einen Einfach-Campingplatz in Egmont, der einzigen Siedlung in der Nähe der Stromschnellen. Von hier aus ist Skook zu Fuß in etwa einer Stunde zu erreichen. Ihren Gästen empfehlen die Campingplatzbesitzer, die Wanderung in jedem Fall zu machen, also auch dann, „wenn Skook gerade schläft“. „Der Weg führt durch ein wunderschönes Waldgebiet und vorbei an einem See“, schwärmt Cheyenne. Doch wie sich unterwegs herausstellt, ist das nicht alles: Bei ablaufender Ebbe kommen entlang des Ufers zahllose Gezeitenpools zum Vorschein, in denen sich fliederfarbene und orange Seesterne, Taschenkrebse, kleine Fische und grazile Seeanemonen tummeln. Und mit etwas Glück kann man Seelöwen und Seehunde beim Jagen beobachten.
Der Besuch von „Skook“ ist der erste Höhepunkt einer Rundreise mit einem geliehenen dem Wohnmobil, die von Vancouver aus zunächst Richtung Norden an die Sunshine Coast führt. Von Langdale bis Lund erstreckt sich dieses idyllische Fleckchen Kanada, das – obwohl es Teil des Festlands der Provinz British Columbia (BC) ist – Reisenden das Gefühl gibt, sie wären auf einer Insel. Zerklüftete Berge und breite Fjorde unterbrechen bisweilen die Straßenverbindungen. Zwischen Vancouver und Powell River sind zwei Fährüberfahrten unvermeidlich, weshalb Reisende zwangsläufig recht schnell in Urlaubsmodus umschalten müssen. „ Slow down, you’re on coast time now“ (Mach langsam, die Uhren an der Küste ticken anders), lautet der Werbeslogan der Region – wie passend! Nicht viele Erlebnisse sind so entschleunigend wie eine Fahrt mit einem Kanu auf einem spiegelglatten Fjord.
180 Kilometer lang ist die Küstenlinie der Sunshine Coast und tatsächlich scheint hier häufiger die Sonne als in anderen Teilen Westkanadas. Der Grund dafür ist ein über 2000 Meter hoher Gebirgszug auf der vorgelagerten Insel Vancouver Island. Er fängt die Regenwolken, die vom Pazifik heranströmen, ab und beschert der Sonnenscheinküste das namengebende Klima. Im Sommer kommen Wassersportler voll auf ihre Kosten: Windsurfen, Segeln, Kajak fahren, Angeln. Unzählige Wassersportzentren entlang der Küste bieten an, was die Urlauber dafür brauchen: Equipment, Erfahrung und Expertise. Wer bereit ist, etwas Geld in die Hand zu nehmen, kann einen Rundflug mit einem Wasserflugzeug buchen. Im Frühling und Herbst finden Wanderer und Mountainbiker Ruhe und Abgeschiedenheit auf unzähligen Pfaden, die sich durch urwüchsige Wälder, entlang derFjorde und unberührter Seen und vorbei an tosenden Wasserfällen durch die Landschaft schlängeln.
Wer die liebliche und sonnige Seite der Westküste Kanadas genossen hat, sollte nun aber auch die raue und wilde Seite kennenlernen. Sonst ist das Bild nicht vollständig. Im Städtchen Powell River setzt man dazu mit der Fähre nach Comox auf Vancouver Island über. Über den Highway 4 (wobei die Bezeichnung Highway nicht immer passend ist für die Landstraße, die sich teilweise abenteuerlich durch die Berge, mehrere Wetterzonen und dichte Wälder schlängelt) erreichen wir den nächsten Höhepunkt der Rundreise: das 2000-Seelen-Städtchen Tofino an der Westküste der Insel. Unaufhörlich rollen die Wellen des Pazifiks auf die kilometerlangen Sandstrände der Esowista-Halbinsel, an deren nördlichen Zipfel Tofino liegt. „Im Winter sind die Wellen oft so hoch wie ein Haus“, sagt Jacky Holliday, die hier aufgewachsen ist. Man glaubt ihr das sofort. Denn wie zum Beweis hat das Meer an den landseitigen Rändern der Strände Berge von Treibholz zu bizarren Haufen aufgestapelt.
Vor 20 Jahren war der Surfer-Hot-Spot Tofino noch ein echter Geheimtipp. Heute macht eigentlich jeder Urlauber auf Vancouver Island einen Abstecher hierher. Im Juli und August platzt das ehemalige Hippie-Paradies aus allen Nähten. Jackie, die wie viele Einwohner in der Tourismusbranche arbeitet, empfiehlt Sommerfrischlern daher, Unterkünfte – egal ob auf Campingplatz oder im Hotel – im Voraus zu buchen. „In Tofino gibt es einfach alles, was Urlauber lieben – feinsandige Strände, Wellen zum Surfen und Bodyboarden, verwunschene Regenwälder, Flüsse mit glasklarem Wasser“, schwärmt die 39-Jährige. Auf Aktivurlauber ist man in Tofino daher gut eingerichtet: Wale fotografieren, Bären beobachten, Wellenreiten lernen, Lachse angeln – alles kein Problem! In den pittoresken, bunt gestrichenen Häuschen entlang von Tofinos Hauptstraße bieten die Inhaber von Wassersportschulen und Ausflugsunternehmen – nicht selten Angehörige eines indigenen Stammes – naturliebenden Gästen gegen Cash jede Art von Kurzweil an.
Man kann Tofino aber auch genießen, wenn man kein Geld ausgeben möchte und an den langen, samtweichen Stränden buchstäblich einen ganzen Tag „versandeln“ will – Muscheln oder Treibgut sammeln zum Beispiel. „Beachcombing“, also Strandkämmen nennt Jackie das. Man kann der Brandung lauschen, die salzige Luft inhalieren oder die verwegenen Surfer beobachten, die am Ende der perfekten Welle von der Gischt verschluckt und irgendwann – wie einst Jonas vom Wal – vom Pazifik wieder ausgespuckt werden.
Apropos Wal: Am nächsten Tag nimmt uns Jackie, die als Skipper auf einem Ausflugsboot arbeitet, mit auf eine Fahrt zu einem in 27 Seemeilen nordwestlich von Tofino liegenden Naturphänomen, das an diesem Küstenabschnitt einzigartig ist: in der Bucht der heißen Quellen (Hot Springs Cove) tritt nur wenige Meter vom felsigen Ufer des Pazifik entfernt kochendheißes Wasser vulkanischen Ursprungs aus. Es fließt über mehrere Kaskaden Richtung Meer in kleine Gumpen und kühlt sich dabei auf angenehme 40 Grad ab. Die Felsenbecken liegen so nah am Pazifik, dass bei Flut das Meerwasser über die Felsen spritzt, weshalb Touristen, die sich in den Gumpen im heißen Wasser suhlen, zwangsläufig Wechselbäder machen – ein Heidenspaß!
Jacky Holliday
„Manche sind 60 Meter hoch und höher und haben einen Umfang von bis zu über sieben Metern.“
Doch auch die Wanderung zu den Quellen hat es in sich: Sie führt auf Holzbohlen durch einen immergrünen Zauberwald, in dem die Stämme verschiedener Baumriesen wie die Säulen einer Kathedrale in den Himmel ragen. „Manche sind 60 Meter hoch oder höher, haben einen Umfang von bis zu sieben Metern“, weiß Jacky. Die Äste sind von hellgrünen Flechten und Moosen überzogen und sehen aus wie die Ents aus dem Film „Der Herr der Ringe“, also wie jene Baumriesen, die in den Überresten der letzten großen Urwälder von Mittelerde hausen.
Die etwa 90-minütige Bootsfahrt zu den Quellen lohnt sich aber auch deshalb, weil man mit etwas Glück unterwegs Wildtiere beobachten kann, für deren Sichtung in Tofino eigentlich spezielle Touren buchbar wären. Während Jackie ihr Motorboot durch die von vorgelagerten Inseln geschützten Gewässer steuert, hat sie das Fernglas fast konstant vor den Augen. „Da bläst er“, ruft sie irgendwann und tatsächlich kreuzt eine Buckelwaldame die Route der Hot-Springs-Ausflügler. Jacky hat sie an der Musterung ihrer Schwanzflosse erkannt.
Weitaus länger halten sich Jackie und ihre Gäste jedoch mit den Seeottern auf. Anders als Wale sind Otter neugierig und daher gegenüber Menschen vergleichsweise zutraulich. Was niemand wusste und deshalb jeden erstaunte: Seeotter versammeln sich oft in größeren Gruppen, und bilden ein Floß, um gemeinsam in den Kelpwäldern vor der Küste zu rasten. „Da die Otter dabei meist auf dem Rücken liegen und die Vorderpfoten hoch heben, entsteht der Eindruck, sie würden winken“, erläutert Jacky und alle stimmen zu.
Nach so viel Natur mit einer Prise Abenteuer ist der nächste und letzte Halt auf der Rundtour die perfekte Ergänzung für das bereits Erlebte: Victoria an der Südspitze der Insel verströmt weltstädtisches Flair und es macht Spaß, die Wanderstiefel und die Outdoor-Kleidung in die Ecke zu werfen und ganz zivilisiert Souvenirs shoppen und gepflegt Essen zu gehen. Ursprünglich eine Siedlung von Pelzjägern wurde Victoria 1868 Hauptstadt der damaligen Kronkolonie British Columbia. Die Gründerjahre waren turbulent. Goldsucher fielen in das Städtchen ein. Ihnen folgten die Holzfäller, die die Wälder der Umgebung rodeten.
Ein Bauboom setzte ein, der nach dem Goldfieber endete, jedoch ein charmantes Städtchen im viktorianischen Stil zurückließ. In der Folgezeit verlor Victoria gegenüber dem benachbarten Vancouver an Bedeutung, was wahrscheinlich der einzige Grund ist, warum der historische Stadtkern am Naturhafen erhalten blieb und heute mit gepflegten Parks die Hauptattraktion der 86.000-Einwohner-Stadt darstellt. Wer sich dennoch nach der unendlichen Weite des Meeres und nach Wildnis sehnt: Wie in vielen Orten auf Vancouver Island wird auch von Victoria aus „Whale-Watching“ angeboten. Wer noch keinen Wal gesehen hat, kann hier noch mal sein Glück versuchen. Toi, toi, toi!
Anreise
Von Frankfurt am Main direkt nach Vancouver, u.a. mit Lufthansa (www.lufthansa.com) oder Air Canada (www.aircanda.de). Kosten: zwischen 600 und 1000 Euro, abhängig von der Saison.
Wohnmobil-Vermietung
In Kanada gibt es zahlreiche Vermiet-Stationen. Auf der Web-Seite www.tui-camper.com kann man das Angebot verschiedener Unternehmen vergleichen und sich das Wohnmobil aussuchen, das am besten zu den individuellen Bedürfnissen passt. Fragen und Hilfe bei der Buchung: Tel. 05 11/567 89 28, E-Mail: service@tuicamper.com
Übernachten
Für die erste und/oder letzte Nacht in Vancouver wird ein Aufenthalt im Fairmont Airport Hotel, 3111 Grant McConachie Way, empfohlen. Durch schalldichte Fenster haben Gäste einen lautlosen Blick aufs Rollfeld, das Frühstück ist großartig und in wenigen Minuten steht man am Check-in Schalter, DZ ab 235 Euro, www.fairmont.com
Familiärer Campingplatz in der Nähe der Gezeitenstromschnelle Skookumchuck: Strongwater Camping and Cabins, 6713 Egmont Road, Egmont, ab 23 Euro pro Stellplatz/zwei Personen inklusive Strom, https://strongwater.squarespace.com.
Hochwertig ausgestatteter Campingplatz mit Strandzugang: Crystal Cove Beach Resort, 1165 Cedarwood Pl, Tofino, Stellplatz ab 36 Euro, https://www.crystalcove.ca.
Essen und Trinken
Tolle Lage, gutes Essen und daher auch bei Einheimischen beliebt: Lighthouse Pub, 5718 Anchor Rd, Sechelt, www.lighthousepub.ca
Idealer Pausenstopp auf dem Weg nach Tofino: Dellas Café, 10725 Pacific Rim Hwy, Port Alberni, liegt in fantastischer Aussichtslage am Ufer des Sees Sproat. Es gibt hausgemachte Kuchen, leckeren Cappuccino und einen kleinen, aber feinen Souvenirshop, http://sproatlakelanding.com
Stilvolles Restaurant in der Altstadt von Victoria: Il Terrazzo, 555 Johnson Street (off Waddington Alley) Victoria, www.ilterarazzo.com
Aktivitäten und Sehenswürdigkeiten
In Tofino kann man sich von Angehörigen der First-Nations-Indianer die Natur ihrer Heimat zeigen lassen – in Kanus, die aus einem Baumstamm geschlagen sind, ab 43 Euro pro Person, www.tofionopaddle.com
In Tofino kann man sich von Angehörigen der First-Nations-Indianern die Natur ihrer Heimat zeigen lassen – in Kanus, die aus einem Baumstamm geschlagen sind, ab 43 Euro pro Person, www.tofinopaddle.com.
Orcas, Buckel- und Grauwale sind häufig vor der Küste von Vancouver Island zu Gast. Fast in jedem Ort werden von Frühling bis Herbst Touren zur Beobachtung der Giganten angeboten, buchbar u.a. unter www.tourismtofino.com.
Canada West Coast Aquatic Safaris, W101A Fourth Street, Tofino, bietet Bootsausflüge zu den heißen Quellen an, Preis: ca. 90 Euro pro Person, www.whalesafaris.com.
Allgemeine Informationen
www.HelloBC.de,
www.BritishColumbia.travel